Südafrika: Ein Tag bei den Xhosa (2024)

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Die junge Frau trägt Ballerinas, eine pinkfarbene Caprihose und ein geringeltes Poloshirt. Ihr krauses Haar hat sie zu einem strengen Zopf zusammengebunden. "Hi! My name is Bungazi,", sagt sie. Ihr Outfit passt nicht in das Bild, das ich von einer traditionellen Frau des Xhosa-Stammes habe.

Meine Kollegin Luise und ich sind ausgezogen, um nach dem authentischen Südafrika zu suchen. Statt Großstadt, Einkaufszentrum und Weißen-Ghetto wollen wir die Lebensweise der Landbevölkerung kennenlernen.

Jedoch nicht, indem wir uns mit anderen Touristen Folkloretänze angucken oder im Reisebus Townships und Dörfer besuchen. Wir wollen für einen Tag eintauchen in die Kultur und Gepflogenheiten der Xhosa, des größten schwarzafrikanischen Stammes des Landes.

Mit Biltong und Taschenlampe an die wilde Küste

Nach eineinhalb Stunden Flug von Johannesburg zur Ostküste und einer zweistündigen Busfahrt befinden wir uns in Mthatha, der ehemaligen Hauptstadt des Homelands Transkei.

In der Zeit der Apartheid wurden Gebiete, in denen größtenteils Schwarze lebten, als sogenannte Homelands geografisch festgelegt, um eine strikte Rassentrennung zu erreichen. Die Transkei-Region hatte seit 1963 Homeland-Status und erhielt im Jahre 1976 von der damaligen Regierung ihre Unabhängigkeit. Die Folgen der aufgezwungenen Unabhängigkeit zeigen sich bis heute. Die Transkei ist die am geringsten entwickelte Region des Landes und gekennzeichnet durch fehlende Infrastruktur, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit und HIV.

Die letzten zweieinhalb Stunden bis zu dem kleinen Dorf Nqileni an der Wild Coast verbringen wir gemeinsam mit 17 Xhosa-Frauen, zahlreichen Wassercontainern und Einkaufstüten auf der Ladefläche eines Geländewagens. Befestigte Straßen gibt es ab jetzt nicht mehr.

Lautstark schnalzen unsere Mitfahrerinnen mit der Zunge, sie zischen und schmatzen: In ihrer Sprache voller Klicklaute übertönen die Frauen den Fahrtwind und die Motorengeräusche, während sie sich über die neuesten Ereignisse austauschen. Immer wieder halten wir an, um weitere Passantinnen in das überfüllte Auto steigen zu lassen. Viele von ihnen tragen bodenlange Röcke und eine Art Turban auf dem Kopf, ein Zeichen dafür, dass sie verheiratet sind.

Erheiterung über kinderlose Langstreckenflieger

Eine der Frauen befragt uns auf Englisch und übersetzt die Antworten für die anderen. Sie möchte alles über unser Leben in Deutschland wissen. Angefangen damit, wo Deutschland eigentlich liegt. Als wir berichten, dass wir elf Stunden im Flugzeug sitzen mussten, um hierher zu kommen, löst das ein ungläubiges Kichern aus. Die Tatsache, dass ich meinen Lebensunterhalt mit Schreiben verdiene und mit 30 noch unverheiratet und kinderlos bin, lässt die Stimmung auf der Ladefläche weiter steigen. Ich fühle mich wie ein Stand-up-Comedian bei seiner besten Show, jeder Satz löst wahre Lachsalven aus, manche Zuhörerinnen haben Tränen in den Augen. Die beleibte Xhosa zu meiner Linken kneift mir vergnügt in die Wange, und viele Hände tätscheln unsere Knie. Es passiert selten, dass Weiße ihre Transportmittel benutzen.

"Die Feuerprobe habt ihr schon mal bestanden", sagt Dave lachend, als wir uns zerknautscht und staubig aus dem Pick-up quälen. Er ist Miteigentümer der Bulungula-Lodge, das ist unser Quartier für die folgenden Nächte.

Zehn Rondaweels, traditionelle runde Lehmhütten mit Reetdach, schmücken den letzten Hügel vor der Küste. Vor acht Jahren eröffnete Dave zusammen mit der Dorfgemeinde die Lodge. Bei ihm kann man Kanufahrten und Wanderungen mit Einheimischen buchen. "Damit haben wir Arbeitsplätze geschaffen und die Akzeptanz der Touristen in der Gemeinde erhöht", erklärt er. Besonders beliebt ist der Xhosa-Tag. "Die Leute sind einfach neugierig, wie der Alltag in einer anderen Kultur aussieht."

Die Neugier beruht auf Gegenseitigkeit. Während wir Bungazi auf schmalen Viehpfaden durch die grüne Hügellandschaft zu ihrer Hütte folgen, stellt sie uns auch immer wieder Fragen zum Alltag in Europa.

Türkis war im Angebot

Nqileni erstreckt sich vom Meer über mehrere Hügel ins Hinterland. Auf den Kuppen sieht man kleine Ansammlungen von Lehmhütten, die meisten von ihnen sind türkis oder gelb gestrichen. Das sind die billigsten Farben, erfahren wir von Bungazi.

Wir sind nicht die Einzigen, die an diesem Morgen unterwegs sind. Eine Frau mit einem Sack Kartoffeln auf dem Kopf kommt uns entgegen, Schafe und Rinder kreuzen immer wieder den Pfad.

Ein letzter Anstieg, dann sind wir da. In der Ferne glitzert ruhig der Indische Ozean, vor Ort herrscht Chaos. Kinderklamotten hängen über dem Stacheldrahtzaun zum Trocknen, ein paar hat der Wind in den Gemüsegarten geweht. Hühner, Schweine und Ziegen streunen umher und machen auch vor dem Inneren der drei Hütten, die Bungazis Familie gehören, nicht halt.

Zwischen den Hütten liegt unter einem Haufen von Decken auf einer Strohmatte eine junge Frau. Es ist Nkosazana, Bungazis jüngere Schwester. In ihren Armen hält sie ihre neugeborene Tochter. Fünf Tage ist das Baby alt, erzählt Bungazi. Nkosazana lächelt nur müde, sie ist noch sichtbar mitgenommen von der Geburt. Eine Gruppe von halbnackten Kleinkindern kommt um die Ecke gerannt: ihre Nichten, Neffen, Geschwister und ihre eigene Tochter, sagt unsere Gastgeberin.

Make-up auf Xhosa-Art

"Kommt mit rein. Jetzt machen wir euch schön", verspricht Bungazi. Wir folgen ihr in die rechte Hütte. Sie ist leer bis auf einen Tisch, auf dem Tupperware-Behälter mit Maismehl und Getreide stehen. In einer Ecke entdecken wir einen in den Boden gelassenen Mahlstein, in der Mitte einen Feuerplatz.

Ich setze mich im Schneidersitz auf den Lehmboden, Bungazi schmiert mir helle Kalkpaste ins Gesicht. "Das ist Sonnenschutz und Make-up", behauptet sie und verziert meine Wangen mit rostroten Flecken. Zum Schluss noch ein Kopftuch ins Haar, eigentlich tragen das nur verheiratete Frauen, aber für uns wird eine Ausnahme gemacht.

Verziert und frisiert machen wir uns nützlich und helfen Bungazi beim Wasserholen. Der kurze Gang durch das Dorf zum Wasserloch führt an Frauen vorbei, die Mais mahlen, Wäsche aufhängen und sich um das Gemüse kümmern. Nur Männer sind weit und breit nicht zu sehen.

Auf dem Rückweg sorgen wir bei Zuschauerinnen erneut für Heiterkeit. Denn während Bungazi 20 Liter Wasser freihändig in einem weißen Eimer auf ihrem Kopf balanciert, kann ich meine Hände nicht mal für einen Schritt von dem Halbliter-Gefäß aus Plastik auf meinem Schädel lösen. "Keine Sorge, das lernt man mit der Zeit. Ich habe mit vier Jahren begonnen, Wasser zu transportieren", tröstet Bungazi.

"Das ist Frauenarbeit!"

Ohne Verschnaufpause folgen die nächsten Programmpunkte: Mais per Hand mahlen, Feuerholz im angrenzenden Gebüsch sammeln, Feuer machen, Gemüse ernten, die Hütte fegen und Maismehlbrei ansetzen. Die Erschöpfung scheint mir ins Gesicht geschrieben. Mandisa, die zehnjährige Nichte von Bungazi, drückt mir eine kalte, schmutzige Süßkartoffel in die Hand und lächelt mir aufmunternd zu. Nicht meine Lieblingsvorspeise, aber sie gibt neue Energie.

Wir wollen wissen, ob die Männer denn gar nicht helfen. "Das ist Frauenarbeit!" Bungazi schüttelt den Kopf. Spätestens jetzt scheint ihr ein Licht aufzugehen, warum wir unverheiratet sind.

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Ein paar Tage später quetschen wir uns erneut in den Pick-up. Zurück nach Johannesburg. Ich entdecke Nomuula, unsere Dolmetscherin von der Hinfahrt, und ein paar andere bekannte Gesichter. Erwartungsvoll fragen sie nach unseren Erlebnissen der letzten Tage. Wir enttäuschen sie nicht. Als ich vom Wasserholen im Dorf berichte, lassen die Lachsalven der Frauen das Auto wackeln. Der Fahrer hält an und erkundigt sich neugierig, was auf der Ladefläche für so viel Heiterkeit sorgt. "Unsere Freundinnen haben dafür bezahlt, das Unkraut anderer Frauen zu jäten!", erklärt Nomuula prustend.

Südafrika: Ein Tag bei den Xhosa (2024)
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Author: Greg O'Connell

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Name: Greg O'Connell

Birthday: 1992-01-10

Address: Suite 517 2436 Jefferey Pass, Shanitaside, UT 27519

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Job: Education Developer

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